Krimi-Report 20
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Die Alligatorpapiere


Jan Seghers

Ein allzu schönes Mädchen
vorgestellt von Stefan Lichtblau

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Der Autor:
Jan Seghers (alias Matthias Altenburg), 1958 geboren, Studium der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Göttingen. Ab 1987 Lektor für Film und Fernsehspiel im Verlag der Autoren, Frankfurt. Seit 1996 freier Schriftsteller, Reporter, Kritiker, Essayist
www.janseghers.de


Der Rezensent:
Stefan Lichtblau
ist Gründungsmitglied der "Alligatorpapiere" und träumt immer noch davon, schriftstellerisch schreiben zu können. Bis dahin betätigt er sich als Rezensent von Spannungsliteratur und als Suchmaschine für die Nachrichtenseite der Alligatorpapiere.


seghers-allzuschoenesmaedchen.jpgEs beginnt wie ein Märchen. An einem kalten Wintertag taucht in einem Weindorf am Rande der Vogesen ein unbekanntes Mädchen auf. Ein Witwe gewährt ihr Unterschlupf. Nach dem Tod der alten Frau verschwindet die schöne Fremde wieder ins Nichts ...
Frankfurt im Hochsommer. Als im Stadtwald die grauenhaft zugerichteten Leichen zweier junger Männer gefunden werden, überträgt man den unbequemen Fall Robert Marthaler, einem musikliebenden Melancholiker. Die Morde machen dem bedächtigen Hauptkommissar zu schaffen, denn alle Spuren weisen auf eine Frau als Täterin hin. Und dann gerät auch Marthalers Privatleben aus den Fugen, denn seine neue Mitbewohnerin Tereza ist eine ernsthafte Versuchung für den eigenwilligen Junggesellen ...

Wenn auf dem Klappentext eines Romans Simenon, Dürrenmatt und Mankell als Reizworte erscheinen, dann macht das natürlich neugierig. Tatsächlich orientiert sich der Roman hauptsächlich an Henning Mankell und dessen Hauptfigur Wallander. Und das positiv – Jan Seghers hat alles Gute von Mankell übernommen und das weniger Gute weggelassen. Herausgekommen ist ein Roman, der durchaus auch international seinen Weg machen könnte. Denn Jan Seghers ist ein geschmeidiger Roman gelungen, der bis auf einen kleinen Aussetzer mankellscher Trübsalbläserei auf den Seiten 179-182 wie ein breiter, fast gemächlich dahinfließender Strom seinen Sog entwickelt.

Angelegt ist der Roman in einem Zeitraum vom 18. April 1999 bis zu einem Epilog am 2. August 2002, es gibt ein Treffen des amerikanischen Präsidenten mit dem Bundeskanzler in Frankfurt am Main, wo sich der Großteil des Romans abspielt, und jene Serie grausamer Morde, die Politik, Öffentlichkeit und Medien elektrisieren. Frankfurt ist das Zentrum des Romans, dessen Stadtviertel, Parks, Kneipen, Straßenzüge und Sehenswürdigkeiten begleiten den Leser, ohne die Handlung zu dominieren, es geht auch nicht, wie so oft bei regional angelegter Literatur um Aha-Erlebnisse durch Ortsbeschreibung – Seghers gelingt der Kunstgriff, einen an Ort und Zeit gebunden Roman zu schreiben, der dennoch eine zeitlose und international wirkende Dimension bekommt. Das lässt tatsächlich den Vergleich mit Büchern von Simenon, Dürrenmatt und Mankell zu, was auch ein leichter Nachteil des Romans ist – er ist in dieser Hinsicht ein traditionalistischer Roman, ohne Zweifel auf der Höhe seiner Vorbilder, geht aber auch nicht über sie hinaus. Nun, der Rezensent erwartet nicht, daß neue Kriminalromane unbedingt die Grenzen der Gattung verschieben müssen. Es erstaunt ihn eher, das bei diesem Autor erwarten zu können. So perfekt, elegant und sicher ist das geschrieben, ohne kühl oder künstlich zu wirken; so sehr ist der Roman ein Krimi, in jener unzweifelhaft sicheren und sprachliebenden Art geschrieben, daß der Rezensent gespannt darauf ist, ob und wie sich Jan Seghers in den Gesetzen der Gattung einrichtet, und ob sie ihm mit der Zeit nicht zu eng werden.

Bei "Ein allzu schönes Mädchen" jedenfalls ist ihm nicht der Fehler unterlaufen, den er in einem Interview bei literarischen, die Gattung bedienenden Autoren reklamiert hat: sie würden zu oft die Gesetze des Krimis nicht erfüllen und denken, eigentlich sei man Künstler, Dichter und dann versuchen, sich mit Virtuosenstückchen von der Gattung abzuheben.
Seghers nimmt das Genre ernst und setzt dennoch kleine Duftmarken, die zugleich für den Erkennungswert seiner Handschrift sorgen werden. Seien es die relativ unaufdringlichen Hinweise auf Interpretationen klassischer Musik, die sozusagen selbstfahrerfreie Existenz seines Kommissars Marthaler, der so oft von Taxis, Bussen, Bahnen und Polizeifahrzeugen durch die Gegend kutschiert wird, daß es erstaunt, als er später für eine Recherche einen Mietwagen leiht – daß er einen Führerschein haben könnte, hätte man kaum vermutet. Dafür wird er aber bald über ein eigenes Fahrrad verfügen (Jan Seghers alias Mattias Altenburg ist ein begeisterter Radfahrer).

Schön auch eine kleine Meldung an das Genre, als Marthaler im Haus des skurrilen Kriminaltechnikers Sabato übernachtet. Auf einem kleinen Regal neben dem Bett steht eine Reihe mit alten, zerlesenen Taschenbüchern, ausnahmslos Kriminalromane. Marthaler liest eine Geschichte an und sinniert: "Als Jugendlicher hatte er die Nase voll gehabt von dem Ton, der in diesen Büchern herrschte, von all den Hanks und den anderen hartgesottenen Burschen. Seit er selbst Polizist geworden war, hatte er einen regelrechten Widerwillen gegen diese Art Literatur entwickelt." Es ist zu vermuten, daß Seghers/Altenburg, der nach eigener Aussage hunderte, vielleicht tausende von Krimis gelesen hat, eine ähnliche Meinung hatte, und daß ihm deshalb Mankell so wichtig ist: als eine europäische Option, hartgesottene Verbrechen in einer anderen Sprache zu verarbeiten.
Und bei all der Gattung geschuldeten Ernsthaftigkeit kann es sich Seghers dennoch leisten, auf allzuviel Detailfreudigkeit zu verzichten, ohne daß es ihm anzukreiden wäre – Seghers schildert Ermittlungsarbeit, malt Stimmungsbilder, beschreibt Personen oder lässt sie durch ihre Handlungen beschreiben, aber er schreibt keinen realismusbesessenen Polizeiroman.

Es geht letztlich hier um zwei Personen, die von ihrer Vergangenheit belastet werden: Robert Marthaler, 40 (wirkt aber eher wie 53), der mit der Liebe seines Lebens verheiratet war und unter dem Schock ihres gewaltsamen Todes und der entstandenen Gefühlsleere leidet; und Manon, belastet durch eine fundamentalistische christliche Erziehung, die mit ihrer außerordentlichen Schönheit und der Sinnlichkeit des Lebens kollidiert und mit dem Trauma eines möglichen Mißbrauchs durch ihren Vater kämpft.

Marthaler, der Ältere und Erfahrene funktioniert in den Bahnen seines Berufes, jedoch nicht privat – Manon ist ein einziges Chaos widersprüchlicher Handlungen, ohne Gleichgewicht. Während im Laufe des Romans die Figur Marthaler immer deutlicher und nachvollziehbarer wird, bleibt Manon gewollt diffus, rätselhaft, ungewiss, was dem Buch zusätzliche Spannung gibt (allerdings auch irritiert, ein bißchen ärgert – zu sehr wirkt das doch als dramaturgische Handschrift, die aus der sonstigen Sorgfalt des Romans fällt).

Dennoch: Seghers hat einen faszinierenden Roman geschrieben, der allerdings noch sehr stark an Mankell erinnert: in der Faszination beider Autoren an grausamen, scheinbar unerklärlichen Morden (mit Vorliebe Serientaten), in den etwas nachlässigen Kunstgriffen, plötzlich Personen aus dem Hut zu ziehen, die der Handlung einen Wechsel ermöglichen. Doch Seghers beherscht mehr als nur sein Handwerk, so daß auf weitere Krimis gespannt gewartet werden darf. Bliebe nur zu wünschen, die Skurrilität des Kriminaltechnikers Sabato und die sensiblen Persönlichkeitsstrukturen Marthales nicht zu übertreiben – ein paar Spritzer mehr Simenon könnte das vielleicht richten ...

© Stefan Lichtblau (10. August 2004)

Jan Seghers:
Ein allzu schönes Mädchen

Reinbek, Wunderlich im Rowohlt Verlag
2004, 464 S., Gebunden,
EUR 19,90

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