Die Alligatorpapiere

Zielfahndung.

Stefan Lichtblaus sehr persönliche Betrachtungen eines Genres.



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  • Dunkle Zeiten


    Über Jörg Fauser, Ulf Miehe, Beatliteratur und den deutschen Soziokrimi
    Es waren dunkle Zeiten. Krimifans durchblätterten unzählige Tages- und Wochenzeitungen, um Informationen über Krimis oder Krimiautoren zu bekommen, und die dort entdeckten Artikel, Rezensionen oder Autorenporträts kursierten dann unter den Begeisterten . Dann und wann tauchten Krimimagazine auf, verschwanden aber ähnlich schnell wie die alternativen Literaturzeitschriften und die Verleger beider Genres schlugen sich hernach mit ähnlichen Problemen herum: Schulden. Die exponiertesten Magazine beider literarischer Gattungen verband noch eine weitere Gemeinsamkeit - der Wunsch nach einer anderen Darstellung der Wirklichkeit.
    Literaturmagazine wie Der Fröhliche Tarzan, Gasolin oder Boa Vista waren die Nachkömmlinge der Beatliteratur und sie propagierten eine von den Bedeutungszwängen der akademischen Nomenklatura befreite Sprache, die aus dem "Dickicht der Städte" berichtete, leidenschaftlich und ungeschminkt.

    Kerouac, Ginsberg, Bukowski, Burroughs (1, 2), Ferlinghetti, Frank O'Hara waren die Vorbilder, deren Impulse Brinkmann, Wondratschek, Jürgen Ploog, Carl Weissner, Jörg Fauser in ihren Texten verarbeiteten. Die Populärkultur der Comic Strips, der Fernsehserien, Kinofilme, Groschenhefte und Krimitaschenbücher fand Aufnahme in die zeitgenössische Literatur und es kam nicht von ungefähr, dass zwei junge "ernsthafte" Literaten dieser Zeit sich in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern auch dem Kriminalroman zuwandten: Ulf Miehe und Jörg Fauser.

    Man rufe sich diese Zeit in Erinnerung. Es gab im Krimigenre zahlreiche Importe aus Grossbritannien und Amerika; Chandler, Hammett, auch Ross MacDonald und Eric Ambler fanden allmählich die Akzeptanz des intellektuellen Milieus. Die Krimireihen der Taschenbuchverlage veröffentlichten Len Deighton, Ted Allbeury, Chester Himes, Ross Thomas, Brian Freemantle, Patricia Highsmith und viele andere, denen, anders als John LeCarré bis auf weiteres der Weg ins Feuilleton verschlossen blieb.

    Das schwedische Autorenpaar Sjöwall/Wahlöö ereichte bei rororo traumhafte Absatzzahlen und große Resonanz und in Folge dessen setzte sich über Rowohlt, dessen Krimireihe zahlreiche deutsche Autoren aufgenommen hatte, eine deutsche Spielart dieser schwedischen Krimivariante durch, die aus den politischen Strömungen dieser Zeit, der Studentenbewegung, der DKP und Stamokapkämpfer, der Ostpolitik und der Frauenbewegung ihren Stoff und vor allem ihren Ton bezog: der Soziokrimi.

    In seinen guten Beispielen gelang es ihm, Realitätsbezogenheit, gesellschaftliche Reflexion und Kapitalismuskritik überzeugend, unterhaltend und ehrlich in Kriminalhandlung umzusetzen, in der Mehrzahl war er jedoch die neue, politisierte Form des Althergebrachten: Kathederwahrheit und Akademikerdünkel, eine dogmatische politische Richtungserklärung und stromlinienförmiges "Gutgemeint". Der neue Kriminalroman hatte von Stund an politisch und aufgeklärt zu sein, gesellschaftliche Mißstände aufzudecken und weitmöglichst kapitalismuskritisch zu agieren. Vor allem fehlte dem deutschen Kriminalroman dieser Zeit größtenteils der Witz eines Roger L. Simon, der lakonische, illusionslose und abgeklärte Tonfall eines Ross Thomas oder der Sarkasmus eines Brian Freemantle.

    Hier trat nun Ulf Miehe auf und versuchte, in der deutschen Kriminalliteratur wieder richtige Verbrechen, kräftige Sprache und ordentlich komponierte Szenen zu etablieren und ein paar Jahre später gesellte sich Jörg Fauser dazu, der den "underground", die Drogen und den Alkohol in den deutschen Krimi brachte. Beide Autoren wollten gesellschaftliche Realität darstellen, ihre Romane sollten Abbilder einer gesellschaftlichen Epoche sein, aber all dies sollte nicht schablonenhaft und standardisiert nach einer gesellschaftskritischen Ideologie geschehen, sondern den Eigengesetzlichkeiten des Genres folgend, in gute Unterhaltung eingebettet sein.

    Ulf Miehe war sicher der bessere Krimiautor der beiden. Er war stilsicherer, vermied Plattitüden, komponierte besser und wirkte wesentlich unangestrengter als Fauser. Jörg Fauser holte schon mal den Holzhammer heraus und ließ unzählige Fliegen auf unzählige Gegenstände scheißen, aber er schrieb mit Leidenschaft und Wut über eine Gesellschaft, die ihm und einer ganzen Generation die Ideale genommen hatte, die ihren unermeßlichen Reichtum nicht in den Veränderungswillen dieser Generation investierte, sondern, wie es sich in den Soziokrimis schon andeutete, in langweilige, blutleeere Programme, Subventionskonstrukte und sozialpädagische Kulturprojekte. Beide Autoren blieben Aussenseiter, oder sagen wir besser: Einzelgänger. Beide starben früh. Und das vereint sie wieder mit dem anderen leidenschaftichen Schriftsteller dieser Epoche, der das Leben und die Literatur verändern wollte und zu früh zu Tode kam: Rolf Dieter Brinkmann*.

    Tote können sich nicht gegen Heroisierungen wehren und Überzeichnungen und leider auch übertreibende Vergleiche hat man bei allen drei Autoren herangezogen, um ihre literarische Bedeutung festzuklopfen, eine Methode, die nicht nur keiner der drei verdient hat, sondern ein bezeichnendes Bild der Schwierigkeit mancher Kritiker zeichnet, ihres Themas Herr zu werden. Besonders auffällig ist dies bei zwei Beiträgen in der wirklich verdienstvollen, von Martin Compart herausgegebenen Reihe "dumont noir". Bevor der Krimi in Deutschland zur Nichtigkeit verkam, brachte er noch zwei bedeutende Autoren hervor: Jörg Fauser und Ulf Miehe. Der Rest ist Fußvolk." schreibt Peter Henning in Martin Comparts Reader "Noir 2000". Starker Tobak, ein fetziger Einstieg für einen eigentlich gelungenen Beitrag über Ulf Miehe, obwohl darin etwas übertrieben mit Hinweisen auf Chandler, Hammett und Highsmith gearbeitet wird, damit der Stellenwert eines Ulf Miehe auch ja richtig erkannt wird. Nun bin ich nicht gerade ein Anhänger deutscher Kriminalliteratur, aber solch "Haumichtots" hat das deutsche Genre trotzdem nicht verdient. Man mag sich mehr erhoffen, aber die Bandbreite derzeitiger deutscher Kriminalliteratur derart zu ignorieren, ist fahrlässig und arrogant. Tatsächlich hat es eine solche Vielfalt krimineller Stilarten im deutschen Sprachraum nie zuvor gegeben, auch ein Verdienst der weniger etablierten Krimireihen wie Rotbuch oder Ariadne und der zahlreichen Verlage, die inzwischen deutschsprachige Kriminalliteratur verlegen. Aber unwidersprochen: auch heute würden diese beiden Autoren als herausragende Vertreter des Genres dastehen.
    In der Neuauflage von Miehes "Puma" bei dumont noir wird ein Beitrag von Peter Jokostra abgedruckt, der 1977 erschienen ist und in ähnlicher Weise aus dem Vollen schöpft: "Ulf Miehe ist ein Vollbluterzähler, ein Fabulierer, der dem berühmten Raymond Chandler nicht nachsteht, ja ihm in manchen geglückten Passagen sogar überlegen ist."
    Bei aller Verehrung für unsere beiden Krimiautoren Miehe und Fauser kann ich da mit Verlaub nur sagen: tiefer hängen und auf dem Teppich bleiben

    ... *Die Bücher dieser drei sollte man lesen. Man sollte ihre Literatur achten, anerkennen, lieben oder verehren. Aber man sollte sie nicht glorifizieren.
    Sie hatten leider keine Zeit mehr, Fehler zu machen.

    Jörg Fauser Biographie bei "Junge Welt"

    Jörg Fauser bei socialbeat.

    Jörg Fauser. Briefe an den Maro Verlag

    Ulf Miehe bei Artechoc


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    Verteidigung des Schmökers


    Um auf unterschiedliche Leseeindrücke zu sprechen zu kommen: Ich muss ja gestehen, dass ich einen Hang zur Schmökerliteratur habe, und stolz bin, inzwischen so an mir gearbeitet zu haben, auch diese Bücher im Bücherregal stehen zu lassen, wenn sich intellektuellerer Besuch ansagt. Zu meinen liebsten "Bäh-Autoren" gehört natürlich Dick Francis, auch Frederic Forsyth und sogar John Grisham haben mich gefesselt, obwohl sich das mit ihren letzten Büchern ein wenig abgenutzt hat und obwohl sie das eigentlich nicht dürften, weil sie ja mit leicht erkennbaren Mitteln ihr Spannungshandwerk ausüben und mich nach der Lektüre kopfschüttelnd das Buch weglegen lassen:
    "Bist Du schon wieder reingefallen, auf den gehandicapten Helden mit den sorgfältig recherchierten Berufen bei Dick Francis, das konservativ gefärbte Handlungspuzzle mit den üblichen Verdächtigen bei Forsyth, bei dem nachprüfbar der Briefkasten in Wirklichkeit genau da hängt, wo er auch im Buch hängt und auf den immer guter werdenden Kämpfer gegen die Mächte des Kapitals bei Grisham mit seinen konstruierten Fallen und Tricks und immer stärker aufgebauschter Botschaft..." Da stehen Sie nun im Regal neben meinem geliebten Ross Thomas, Eric Ambler, Chester Himes, wie das offensive Rauchergeständnis: "Ich habe es gern getan und ich würde es wieder tun, egal was der Arzt sagt!"

    Und dann auch noch Henning Mankell! Wieder dieser Sog nach der ersten Seite, dieses unerklärliche Phänomen, in diese doch nach ernsthaften Kriterien nicht zu akzeptierende Welt hineingezogen zu werden, trotz allem altmännerhaften Nörgeln über die sich verhärtende Welt, diesem manischen Auftauchen von durchgeknallten Serientätern, deren Motive trotz aller Erklärungen im Dunkel bleiben und diesem ewigen Wetter, das noch schlimmer zu sein scheint als im Bergischen Land rund um Wuppertal.
    Ich bekenne: ich habe ihn gern gelesen, trotz des in Schweden untergetauchten schwarzen Terroristen aus Südafrika und dem unglaublichen Tohuwabohu in Riga und all dem anderen Gedöns. Und ich weiß ja: nach literarischen Kriterien ist das Phänomen Schmöker nicht zu erklären. Aber eins scheint klar zu sein - Schmöker schreiben ist eine Kunst für sich, seien sie noch so schlecht.
    Dem Mankell-Fan seien die unwiderlegbaren, knochentrockenen Argumente gegen schonische Sucht empfohlen, die kaliber. 38 seit längerem anzubieten hat: "Die Ödnis der schonischen Ebene" von Gerd Friedrich Marenke und "Das Super-Kurt" von Jan Christian Schmidt. Schwere Kost, zugegeben, besonders bei Wallanders labiler Seelenlage...
    Positiver sind da die Informationen, die bei den Kollegen von Schwedenkrimi zu finden sind und natürlich auch auf der Fanseite Wallander-Web (beides übrigens auch grafisch gelungene Seiten)...

    Die persönlichen Betrachtungen werden bei Gelegenheit fortgesetzt.



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