– Der skandinavische Kriminalroman" (NordPark, Wuppertal 2006, 316 Seiten, 22 Euro) leider nicht. Denn Alexandra Hagenguths diesbezüglicher Versuch ("Mord, der aus der Kälte kommt: Was macht skandinavische Krimis so erfolgreich?") liefert nur leicht angreifbare Hypothesen und endet mit dem kläglichen Verweis auf den "Zeitgeist". Mit Tobias Gohlis' Einleitung und Beiträgen von Autoren aus sieben Ländern gibt das Buch insgesamt jedoch einen guten Überblick über Geschichte, Schwerpunkte und Unterschiede der Genreliteratur in Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island. Einige Autoren werden gesondert vorgestellt: Dan Turèll, Henning Mankell, Håkan Nesser, Liza Marklund, Arne Dahl, Leena Lehtolainen und Arnaldur Indriðason. Schade, dass die Klassiker des Schwedenkrimis, das Autorenduo Sjöwall/Wahlöö (Krimitipp, 27.08.2006), hier keine Berücksichtigung fanden. Dennoch: Wen Morde zwischen Lappland und Ostsee besonders faszinieren, kann hier gut sein Hintergrundwissen vertiefen.


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macbride-die-dunklen-wasser-von-aberdeen.jpgWir aber überqueren die Nordsee und lassen uns im winterlichen Aberdeen auf einen richtig guten Polizeithriller ein. Dass es darin nicht nur wegen des nasskalten Wetters in der von abweisenden Granitbauten geprägten Hafenstadt recht ungemütlich wird, dürfte niemand überraschen, der den modernen Britnoir in Film, TV und Literatur schon kennt. Stuart MacBrides "Die dunklen Wasser von Aberdeen" (Goldmann Taschenbuch, München 2006, 541 Seiten, 8,95 Euro) ist harter Stoff und variiert das Serienkillermotiv, dehnt es jedoch auf die sozialpsychologische und politische Gemengelage einer ganzen Stadt aus. Hauptfigur von MacBrides 2005 unter dem Titel "Cold Granite" erschienenem Debütroman ist Detective Sergeant Logan McRae, der wegen einer gefährlichen Stichverletzung ein Jahr krank geschrieben war. Kaum hat der auch psychisch traumatisierte Cop seinen Dienst wieder angetreten, wird er zur Leiche eines dreijährigen Jungen gerufen, der schwer misshandelt und verstümmelt wurde. Ein grauenhafter Fund, der nur den Anfang einer ganzen Mordserie markiert. Doch anstatt sich auf die Ermittlungen konzentrieren zu können, bekommt es McRae mit einer aufgeputschten Öffentlichkeit zu tun, die durch Indiskretionen aus dem Polizeiapparat und entsprechende Schlagzeilen der Lokalpresse weiter angeheizt wird. Manche bezeichnen MacBride schon als den neuen Rankin, und so ganz hergeholt ist das nicht. In jedem Fall: klasse!


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schorlau-fremde-wasser.jpgIn Deutschland machte zuletzt Wolfgang Schorlau von sich reden, der gerade erst mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Nun hat der Stuttgarter Autor seinen dritten Band aus der Serie um Georg Dengler vorgelegt, einen depressiven Privatermittler mit BKA-Vergangenheit. In "Fremde Wasser" (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 271 Seiten, 7,95 Euro) wird der eigenbrötlerische Detektiv von Angehörigen einer Parlamentarierin engagiert, die vor laufenden Kameras am Rednerpult des Bundestags zusammengebrochen und gestorben ist. Was mit Zweifeln an der offiziellen Diagnose Herzversagen beginnt, weitet sich bald zu einem veritablen Politthriller im Kontext der Globalisierung aus. Spannend geplottet, glaubwürdig recherchiert, nicht ohne Humor, aber vor allem auch sprachlich souverän erzählt – mit Schorlaus neuem Roman haben wir ein weiteres Beispiel dafür, dass sich der deutsche Krimi jenseits der idiotischen Regionalkrimis durchaus lesen lassen kann.


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fauser-schneemann.jpg Zum Schluss heißt es wieder einmal: Klassiker revisited. Jörg Fauser, der 1987 unter nie ganz geklärten Umständen zu Tode kam und der seine ersten Textproduktionen unter anderem als Aushilfsnachtwächter finanzierte, war nicht nur ein großartiger Kenner des Kriminalromans, wie seine diversen kenntnisreichen Artikel und Literatur-essays etwa zu Hammett, Chandler und Himes belegen. Dieser unerhört belesene, ebenso sprachmächtig wie besessen schreibende Exjunkie hat auch vier eigene Krimis hinterlassen, dessen erster ("Schneemann", Band 3 der Jörg-Fauser-Edition, Alexander, Berlin 2004, 263 Seiten, 19,50 Euro) 1981 erschien und drei Jahre später mit Marius Müller-Westernhagen verfilmt wurde. Fauser erzählt darin die Geschichte eines glücklosen Kleinkriminellen, der durch Zufall eine Menge Kokain in seinen Besitz bringt und plötzlich seinen Lebenstraum von einer kleinen Kneipe auf den Bahamas zum Greifen nah sieht. Doch der Versuch, den Schnee zu Kohle zu machen, gerät zur Odyssee durch die Glitzer-, Halb- und Gossenwelten der Achtziger-Jahre-BRD. Anstatt den Stoff profitabel loszuschlagen, verliert sich Blum immer mehr in paranoider Angst vor eingebildeten wie realen Gangstern, die ihm seinen Schatz abzujagen drohen. Eine Achterbahnfahrt zwischen Glück und Verzweiflung, die im belgischen Seebad Ostende ein klägliches Ende findet. Fausers "Schneemann" ist ein Gesellschaftsroman von unten, der das Verbrechen als konstitutiven Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft outet. Illusionslos in der Analyse, mitfühlend mit dem Personal, und dabei so leicht und locker erzählt, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Kurzum: gnadenlos gut.

KK6-Cover Jost Hindersmann (Hrsg.):
Fjorde, Elche, Mörder.
Der skandinavische Kriminalroman

Wuppertal, NordPark Verlag 2006,
316 Seiten, 22.00 Euro

macbride-die-dunklen-wasser-von-aberdeen.jpg Stuart MacBride:
Die dunklen Wasser von Aberdeen.


München, Goldmann Taschenbuch Verlag 2006,
541 Seiten, 8.95 Euro

schorlau-fremde-wasser Wolfgang Schorlau:
Fremde Wasser.


Köln, Kiepenheuer & Witsch Verlag 2006.
271 Seiten, 7.90 Euro

fauser-schneemann Jörg Fauser:
Schneemann.
Band 3 der Jörg-Fauser-Edition


Berlin, Alexander Verlag 2004.
263 Seiten, 19.50 Euro

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Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne





Ulrich Kroegers Krimitipps: Index
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Ulrich Kroegers erster Krimitipp erschien vor fünfeinhalb Jahren. Damals war in Bremerhaven Kriminalliteratur – zumindest in der Zeitung – kein Thema, und niemand dachte daran, eine auf Dauer angelegte Kolumne zu etablieren. Es kam zum Glück anders. Heute erscheint Ulrich Kroegers Krimitipp einmal im Monat im Sonntagsjournal der "Nordsee-Zeitung", dessen Redaktion wir für die Genehmigung zur Veröffentlichung und Archivierung bei den Alligatorpapieren danken. Zum Konzept der Kolumne gehört, dass auf Verrisse zugunsten von Leseempfehlungen verzichtet wird. Zudem beschränken sich die Besprechungen in der Regel auf Taschenbücher und Paperbacks, einer publizistischen Tradition des Kriminalromans folgend und eingedenk der begrenzten finanziellen Spielräume vieler Leser – nicht nur in einer von Arbeitslosigkeit gebeutelten Hafen- und Industriestadt.

Der Autor, Jahrgang 1956, Studium (Politologie, Sozialwissenschaften, Geschichte) in Braunschweig und Bremen, arbeitete als Produktionshelfer, Nachhilfelehrer, Sozialarbeiter und fristet seit zehn Jahren als freier Journalist und Redakteur sein Dasein. Er liebt die Küste, hört "WBGO Jazz88.3 FM," trinkt Scotch, spielt Mah Jongg und fiebert für Werder. Doch die meiste Freizeit verbringt er mit – na, Sie wissen schon!
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