Keith Baker: Ungesühnt

baker-ungesuehnt Nordirland. Der Bürgerkrieg ist seit zwanzig Jahren zu Ende, wir schreiben das Jahr 2016, doch für Jack McCallan fängt der blutige Krieg erst an, nachdem sein Vater Bob McCallan, ein pensionierter Beamter der nordirischen Polizei, bei einer Gasexplosion getötet wird. Vollkommen unerwartet erbt Jack ein großes Vermögen, doch als er Nachforschungen über das Leben seines Vaters anstellt, und erkennt, daß dieser ermordet wurde, nehmen zwanzig Jahre zurückliegende Ereignisse eine neue, lebensbedrohliche Bedeutung an.

"Ungesühnt" war der Debütroman des Journalisten Keith Baker, dem bisher drei weitere Romane gefolgt sind ("Reckoning", 1998 (auf deutsch "Mit kalter Hand" Knaur Taschenbuch); "Engram",(1999) and "Lunenburg" (2000).
Und es war ein Debüt mit einer faszinierenden Grundidee: wir schreiben das Jahr 1996 die friedliche Lösung des nordirischen Bürgerkriegs ist fast erreicht, doch immer wieder kommt es zu Anschlägen der radikalen Minderheit. Letztendlich führen loyale Kader eine Lösung des Problems herbei: sie lassen die militanten Führer beseitigen.
"In den Jahren danach galten die Morde, die der Killer soeben begangen hatte, als letzter Gewaltexzeß des Bürgerkrieges."
Keith Baker läßt seine Figur Jack McCallan zwanzig Jahre später auf der Suche nach der Vergangenheit seines Vaters immer tiefer in den Strudel politischer Komplotte geraten und knüpft in das Netz alter und neuer Bedrohungen geschickt nordirische Wirklichkeit ein. Das hat zwar einige Längen und leider eine etwas hölzern konstruierte und eigentlich überflüssige Liebesgeschichte, die allzu offensichtlich zum Fanal wird, aber dennoch gelang Keith Baker nicht nur über die Grundidee, sondern auch durch die Leistung, eine durchgängig beklemmende Atmosphäre zu erzeugen, ein Roman, der über Jahre im Gedächtnis hängenbleibt und - mehr als einmal gelesen werden kann. Wobei der Rezensent nicht umhin kommt, die Schutzumschlaggestaltung der Hardcoverausgabe des Lichtenberg Verlages ausdrücklich zu loben. Nicht oft stimmen Inhalt und Verpackung derart überein.

Ach ja: der Umschlag ist wirklich gelungen. Der für das Hardcover aus dem Lichtenberg Verlag.



Birkefeld/Hachmeister: Wer übrig bleibt, hat Recht

Birkefeld/Hachmeister: Wer übrig bleibt, hat Recht Winter 1944, irgenwo in Deutschland
In einem Militärkrankenhaus kuriert der SS-Offizier Kalterer eine Schußverletzung aus - und macht sich Gedanken über seine Zukunft. Er weiß daß der Krieg verloren ist und er das Strafgericht der Sieger zu befürchten hat.
Zur gleichen Zeit nimmt der entflohenen KZ-Häftling Ruprecht Haas in Berlin grausame Rache an denen, die er für sein und seiner Familie Schicksal verantwortlich hält. Als sich unter den Mordopfern auch ein hochrangiger Parteigenosse findet, bekommt Kalterer von höchster Stelle den Auftrag, den Fall aufzuklären.


Haas hat alles verloren: seine berufliche Existenz, seine Geschwister, seine Frau, seinen Sohn, seine Wohnung und seine Freiheit. Er sitzt im KZ Buchenwald und muß tatenlos zusehen, wie sein Leben vernichtet wird. Bis ein Luftangriff der Alliierten ihm plötzlich die Chance gibt, dem Lager zu entkommen - eine Rettung für ihn und das Todesurteil für diejenigen, die ihn verraten haben - nur die Rache treibt ihn nun voran.
Kalterer erkennt zum Ende des Krieges, daß er den falschen Götzen hinterhergelaufen ist, und daß die Mahnungen und Vorwürfe seiner Ex-Frau den Kern getroffen haben: er ist mitschuldig geworden, weil er nicht hinterfragt hat, was die Ideologie an Handlungen hervorgerufen hat. Doch ihm gelingt wie den meisten in dieser Zeit, dies zu verdrängen und sich auf den Befehlsnotstand zurückzuziehen: Widerstand wäre zwecklos, weil tödlich gewesen. Jetzt ist es an der Zeit, sich auf die neue Zeit vorzubereiten. Er will die Chance nutzen, die ihm wegen einer Kriegsverletzung geboten wird, er wird von der Front abgerufen, um eine Mordserie aufzuklären, der auch ein früheres Parteimitglied zum Opfer gefallen ist.
Im Laufe der Ermittlungen begegnen ihm und dem Leser alle Charakter, die eine Gesellschaft ausmachen; die Täter und die Opfer, Menschen, die ihre Überzeugungen leben und jene, die die sich immer arrangieren, die Pfiffigen und die Schwachen, die Bekehrten und die Enttäuschten, die Unverbesserlichen und die, die scheinbar immer oben sitzen werden, weil sie die Strukturen durchschauen und die richtigen Hebel zu bedienen wissen.
Eine Kriminalgeschichte als nüchterne Betandsaufnahme, die auch verdeutlicht, daß Deutschland nicht befreit, sondern besiegt worden ist - nicht die innere Überzeugung, der massenhafte Widerstand hat letztendlich den Krieg und das Dritte Reich beendet, sondern die pure Übermacht der Allierten. Deutschland ist nicht übergelaufen, sondern hat sich arrangiert mit dem, was ihm beschert wurde: die Besatzung der West-Allierten oder die der Sowjetunion.
Und doch merkt man mitunter, daß sich hier ein Thema einen Krimi gesucht hat, nicht ein Krimi einen Stoff: der Versuch, eine Zeit darzustellen, schillert hinter so mancher Radiomeldung, hinter so mancher Detailbeschreibung hervor. Dennoch gelingt es den beiden Autoren mit ihrem Romandebüt, nicht nur eine spannende Kriminalgeschichte zu schreiben, die glaubhaft eine gern verdrängte Epoche schildert, sondern auch erstaunlich durchgängig die Figur des Kalterer als Antihelden zu zeichnen, ohne ihn plakativ zum Bösewicht werden zu lassen.
Für ihren Roman erhielten die Autoren den Glauser 2003 in der Sparte "Bestes Debut" und erreichten beim Deutschen Krimi-Preis 2003 den dritten Platz.


Jon Ewo: Rache

Jon Ewo: Rache Alex Hoel, einstiger Geldeintreiber und Erpresser, ist ausgestiegen: zusammen mit Irina will er ein ruhiges Leben führen. Im Zentrum von Oslo eröffnet er für all die verlorenen Seelen der Großstadt eine Bar mit Stil. Krumme Geschäfte duldet er nicht. Doch dann wird direkt vor der Bar ein Mann erschossen, eine große Abrechnung in einer Bikergang beginnt. Alex Hoel bleibt nichts anderes übrig, als sich einzumischen. Dabei trifft er auf alte Bekannte, die ihn schon früher nicht leiden konnten

Die Zeiten sind härter geworden und die Methoden brutaler. Und auch wenn das schon Grund genug wäre, so ist doch für einen harten Burschen wie Alex Hoel die Liebe zu der Frau seines im Gangsterkrieg getöteten Ex-Freundes, der wahre Grund, aus dem Milieu auszusteigen und seine Ruhe zu finden. Eine Ruhe, die auch die Gäste seines Lokals genießen. " ... die Huren und Zuhälter, die Pusher, die Junkies, die Diebe, die Biker und all die anderen, die ihre Geschäfte hier im goldenen Dreieck zwischen dem Osloer Hauptbahnhof, der Bank und dem Parlament machten. Die an anderen Orten nicht willkommen waren."
Und obwohl es ein leichteres Leben ist "als das, was er hinter sich gelassen hatte ... konnte er nicht leugnen, dass er ab und zu die alte Branche vermisste - zumindest den Adrenalinstoß." Doch die Ruhe ist schneller vorbei, als er gedacht hatte. Bei dem Versuch, einem Freund aus den alten Zeiten zu helfen, der ihm einst das Leben gerettet hatte, trifft er auf Braza, seinen gnadenlosen Gegenspieler von einst, als Hoel noch Geldeintreiber war, und er muß erkennen, daß sein Lebensplan aus den Fugen gerät - wenn er sich diesem Duell nicht stellt.
Jon Ewo hat das ewige Muster des Duells,des Kampfes gegen das Böse, den Gegner,der keine Gnade kennt, nach Oslo transportiert. Doch hier geht es nicht um Gut oder Böse oder Gesetz gegen Verbrechen, sondern es herrscht das archaische Gesetz der Stärke. Nur der überlebt, der keine Fehler macht, wer Schwäche zeigt, ist schon verloren. Ewo malt keine Heile-Welt-Bilder, sondern zeigt eine Welt der Gewalt, die harten, aber rustikalen moralischen Gesetzen folgt. Absprachen sind Gesetz, Verstöße werden mit unerbittlicher Härte bestraft. Man will überleben, gut überleben, Geld machen und die besten Geschäfte sind die verbotenen: Glücksspiel, Prostitution, Drogen. Eine gefährliche Welt, das läßt Ewo nicht aus, uns zu vermitteln, eine faszinierende, weil sie keine Kompromisse kennt.

Störend wirkt allerdings die seit längerem grassierende Neigung nordischer Krimiautoren, durchgeknallte Serientäter in ihre Bücher aufnehmen zu müssen. Ewo beginnt den Roman mit Martin Ager, einem ehemaligen Mitglied der Bikerszene, der im Verlauf des Buches als mörderischer Racheengel Mitglieder der Bikergang "Fuckheads" meuchelt, da sie ihn brutal aus ihrer Mitte vertrieben hatten, als seine Homosexualität offenbar wurde, etwas, das dem ehernen Gesetz der Biker nicht entspricht. Sein Liebhaber wird ermordet und Ager als dessen vermeintlicher Mörder vor Gericht gestellt. Ager kann fliehen und nimmt unnachgiebig Rache, aber diese separate Geschichte bekommt nie Bindung zur Haupthandlung des Buches, wirkt eher wie ein verlorener Teil, ein aufgegebener Strang, den wohl niemand aus dem Buch nehmen wollte, weil sie als "thrill"-Anfang den Leser/Käufer ins Buch zu ziehen vermag.

Ob Alex Hoel den Sprung ins "normale" Leben schafft, bleibt in diesem Buch offen, doch einige lose Fäden lassen vermuten, daß noch eine Menge Arbeit vor ihm liegt - und hinter ihm. Denn "Rache" ist der zweite Teil der sogenannten "Torpedo"-Trilogie um den Geldeintreiber (Torpedo) Alex Hoel.



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Notizen zu Krimis
No. 4




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