‚Bill' Bonanno an. Er sagte ihm, er würde gerne ein Buch über seinen Werdegang schreiben. Denn Talese wollte erfahren, wie es ist, als Sohn eines Mafiosi in dessen Organisation aufgenommen zu werden. Während der nächsten fünf Jahre führte Talese zahlreiche Gespräche mit der Bonanno-Familie, war bei Familientreffen dabei, reiste nach Sizilien und verarbeitete alle gesammelten Informationen anschließend zu einer beeindruckend-detaillierten Familiengeschichte.
Denn dass Bill der Nachfolger des einflussreichen New Yorker Paten Joseph Bonanno werden sollte und dass es deswegen zu einem Machtkampf innerhalb des Clans und mit anderen Clans gab und dass alle Mafiafamilien in den sechziger Jahren fast ständig vor Gericht standen, wird von Gay Talese auch geschildert, aber sämtliche Straftaten begehen sie außerhalb des Buches. Das ist verständlich, denn hätte Bill Bonanno gegenüber Gay Talese eine Straftat zugegeben (was wahrscheinlich geschehen ist) und hätte Talese darüber geschrieben (er tat es nicht), wäre Bonanno wegen eben dieser Taten angeklagt worden.
Daher erscheint in "Ehre deinen Vater" das Leben der Bonnanos seltsam frei von Gewalt. Sie bringen niemand um. Aber Leute von ihnen werden ermordet. Sie betreiben kein illegales Glücksspiel und keinen Kreditwucher. Sie handeln nicht mit Drogen. Stattdessen verbringen sie einen großen Teil ihrer Zeit vor Gericht, in verschiedenen Verstecken und im Gefängnis. Bill Bonanno war 1965 drei Monate in Beugehaft.
Gegen Ende schildert Talese ausführlich die Gerichtsverhandlung gegen Bill Bonanno wegen des Gebrauchs einer geborgten Kreditkarte. Bonanno meinte bereits während des Verfahrens, dass er jetzt auch für seine anderen Taten, die ihm die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen konnte, verurteilt würde. Deshalb wurde er wegen dieser Nichtigkeit auch zu vier Jahren Haft verurteilt. "Ehre deinen Vater" endet mit dem Antritt der Haft.
Davor schreibt Talese aus heutiger Sicht viel zu ausführlich über die Jugend von Bill Bonanno, dessen Ehe und Eheprobleme, gemeinsame Familienfeiern und dem Versuch eines Mannes, dem Wunsch seines Vaters folgend, in das elterliche Unternehmen einzusteigen.
Bei der deutschen Ausgabe fällt das Fehlen eines Nachwortes, in dem das weitere Leben von Bill Bonanno und des Bonanno-Clans und die Wirkung des Buches geschildert werden, negativ auf. Auch wären eine ausführlicheres Glossar und aktuellere Biographien der wichtigsten Personen wünschenswert gewesen. So steht zu Bill Bonanno nur, dass er im Januar 2008 eines natürlichen Todes starb. Denn in Deutschland sind die Namen der Mafiosi, ihre Taten und die Geschichte des organisierten Verbrechens nicht so präsent wie in den USA.
Doch das sind Kleinigkeiten bei einem insgesamt auch heute noch beeindruckenden Sachbuch. Gay Talese zeigt, was guter Journalismus leisten kann.

Sabine Rückert: Unrecht im Namen des Volkes
rueckert-unrecht-im-namen-des-volkes-goldmann-tb.jpgSabine Rückert ist seit mehreren Jahren die Gerichtsreporterin der Wochenzeitung "Die Zeit". Dort schrieb sie auch zum ersten Mal über die falschen Anschuldigungen von Amelie. Sie sagte, ihr Vater Adolf S. und, später, ihr Onkel Bernhard M. hätten sie mehrfach vergewaltigt. Die Familie glaubte ihr nicht. Aber eine Allianz aus Mitarbeitern der Psychiatrie, der Polizei, Staatsanwaltschaft und auch der Richter glaubten Amelie. Adolf S. wurde zu sieben Jahren, Bernhard M. zu vier Jahren und sechs Monaten Jahren Haft verurteilt.
2002 erhielt Rückert die Unterlagen und veröffentlichte im Mai eine Reportage darüber. Neben dem Wiederaufnahmegesuch des Verteidigers Johann Schwemm führte diese Reportage schließlich zu einer Wiederaufnahme und zwei Freisprüchen.
In "Unrecht im Namen des Volkes" zeichnet Sabine Rückert die gesamte Geschichte nach. Zu dem Fehlurteil konnte es kommen, weil die Verantwortlichen gegen ihre berufliche Objektivität verstießen, Fakten nicht zur Kenntnis nahmen und einer unglaubwürdigen Zeugin vertrauten. Bei ihren Recherchen stellte Rückert auch fest, dass nicht alle Aussagen im Protokoll des Gerichts aufgeschrieben waren.
Das abschließende, teils wörtlich protokollierte, Gerichtsverfahren endete mit einem Freispruch für Bernhard M.. Adolf S. wurde kurz darauf ebenfalls freigesprochen.
Sabine Rückerts "Unrecht im Namen des Volkes" schärft den Blick auf die auch in Deutschland möglichen Fehler bei einem Verfahren und, nach dem Erscheinen ihres Artikels, dem Mauern der zuständigen Organe, die lieber den Boten bestrafen als die Nachricht zur Kenntnis zu nehmen und offensichtliche Fehler schnellstmöglich zu berichtigen.

Pieke Biermann: Der Asphalt unter Berlin
biermann-Der-Asphalt-unter-Berlin.jpgPieke Biermann kommt, wie der bereits erwähnte Truman Capote, aus der Literatur. Ihre Reportagen, die seit 2005 im "Tagesspiegel" und im RBB-Inforadio präsentiert werden, zeichnen ein Bild der kleinen Leute und der Kriminalität abseits der Schlagzeilen. Dabei legt sie Kriminalität und Verbrechen großzügig aus, denn es geht Biermann immer auch um den gesellschaftlichen Hintergrund und die Strukturen.
Sie schreibt über die mangelhafte Sicherheit in einer bekannten Drogeriekette, die anstrengende Arbeit der Busfahrer, die teils mangelhafte Sicherheit bei Gefahrguttransporten, Verstöße gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen, über das Plündern von Konten mit einer gestohlenen PIN, Mordfälle, die in der Zeitung mit wenigen Zeilen abgehandelt werden, einen Brand im ZDF-Filmarchiv, über Homosexuelle, die von einem anderen Mann systematisch mit HIV infiziert wurden, Stalking, die verschiedenen Spezialeinsatzkräfte der Polizei und Verbrechen von meist Jugendlichen, die durch den Konflikt zwischen deutschen und ausländischen Wertvorstellungen entstehen.
Für den Sammelband "Der Asphalt unter Berlin - Kriminalreportagen aus der Metropole" stellte sie 28 Reportagen zusammen. In ihm wird deutlich, wie oft Pieke Biermann in den vergangenen Jahren immer wieder zu ähnlichen Themen zurückkehrte und sich dabei immer auf die Seite der Menschen stellte, die nicht im Scheinwerferlicht der Medien sind. Ob das nun die Opfer von Verbrechen, Jugendliche oder Polizisten sind. "Der Asphalt unter Berlin" zeigt die alltägliche Kriminalität in einer Großstadt. In Buchform haben die meist knapp zehnseitigen Reportagen ein verdientes zweites Leben erhalten.

Grundrechte-Report 2008

Grundrechte-Report-2008.jpgKurz sind ebenfalls die jährlich im Grundrechte-Report erscheinenden Texte. Der von den Bürgerrechtsorganisationen Humanistische Union, Gustav-Heinemann-Initiative, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, Internationale Liga für Menschenrechte und der Neuen Richtervereinigung herausgegebene Band versteht sich als alternativer Verfassungsschutzbericht. Zu jedem Grundrecht und einigen sich weiter hinten im Grundgesetz befindenden Paragraphen werden in meist vierseitigen Texten ausgewählte Verstöße geschildert. Es geht um die Rechte von Flüchtlingen ohne Papiere, die Vorratsdatenspeicherung, den § 129a, rassistische Übergriffe, das Unterhaltsrecht, die Beschränkung der Demonstrationsfreiheit während des G8-Gipfels, die Kontrolle der Geheimdienste im Parlament, eine komplette Beschlagnahmung der Post von ungefähr einhundert Briefkästen in Hamburg, Studiengebühren in Hessen, die Online-Durchsuchung, die Sicherungsverwahrung, FRONTEX, das aktuelle Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik und den Jugendstrafvollzug.
Auch wenn etliche Texte zu sehr in einem juristisch-abstrakten Duktus geschrieben sind, gelingt es dem "Grundrechte-Report 2008 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" bekannte, aber im täglichen Einerlei vergessene Nachrichten dem Vergessen zu entreißen. Und einige Themen, die in den Medien sonst kaum vorkommen, werden hier einem breiteren Publikum präsentiert.

Frank Littek: Alle Achtung!
littek-alle-achtung.jpg"Alle Achtung! - Sich erfolgreich schützen und zur Wehr setzen bei Überfällen, Einbrüchen, Taschendiebstählen, etc." steht vielversprechend auf dem Cover von Frank Litteks neuem Buch. Schon beim Lesen der ersten Seiten, stellt sich Frage, wer das Buch kaufen soll. Denn viel zu oft ist "Alle Achtung!" zu unkonkret oder betet, jedenfalls für mich, Gemeinplätze, wieder. Denn selbstverständlich stelle ich mich an einer Bushaltestelle immer an eine beleuchtete Stelle (Wie soll ich sonst in dem Buch weiterlesen?). Ich weiche körperlichen Konfrontationen aus und gebe meine Kreditkarte nicht weg.
Das Abschätzen ob eine Situation jetzt gefährlich ist oder doch nicht, wird dagegen eher zu einem allgemeinen Erfahrungswert degradiert. Viel Raum widmet Littek den verschiedenen Kampfsportarten und wie man sich mit körperlicher Gewalt wehren kann. Dabei betont er - zu Recht - immer wieder, dass jede Verteidigung, ob jetzt mit dem eigenen Körper oder einer Waffe, viel Übung erfordert und die zur Selbstverteidigung so beliebten Kampfsportarten, regelkonform betrieben, sich nicht für einen Straßenkampf eignen.
Es gibt kurze Kapitel für Frauen und Männer. Viel mehr Raum nehmen seine Ratschläge für Kinder und Jugendliche ein. Das ist für Menschen ohne Kinder uninteressant. Für Eltern dürfte es dagegen zu banal sein und teilweise mit der Wirklichkeit kollidieren (Welcher Teenager hört schon auf die elterliche Warnung vor übermäßigem Drogenkonsum?).
Das abschließende Kapitel über Sicherheit in Haus und Wohnung wendet sich in erster Linie an Besitzer eines Hauses.
Insgesamt dürfte daher der Besuch bei der örtlichen Polizei und das Mitnehmen der dort ausliegenden Informationsbroschüren billiger und informativer als "Alle Achtung!" sein.

Links & Bibliographie:

Talese_Ehre_deinen_Vater.jpg Gay Talese:
Ehre deinen Vater
(übersetzt von Gunther Martin)

Roger & Bernhard, 2008
536 Seiten
24,90 Euro

Originaltitel:
Honor thy father World Publishing 1971

biermann-Der-Asphalt-unter-Berlin.jpg Pieke Biermann:
Der Asphalt unter Berlin
Kriminalreportagen aus der Metropole

Pendragon, 2008
256 Seiten
14,90 Euro


rueckert-unrecht-im-namen-des-volkes-goldmann-tb.jpg Sabine Rückert:
Unrecht im Namen des Volkes
Ein Justizirrtum und seine Folgen

Goldmann Verlag, 2008
320 Seiten
8,95 Euro

Originalausgabe:
Hoffmann und Campe Verlag, 2007

Grundrechte-Report-2008.jpg Till Müller-Heidelberg, u. a.: br> Grundrechte-Report 2008 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland
Fischer Verlag, 2008
256 Seiten
9,95 Euro

Homepage des Grundrechte-Reports:
www.grundrechte-report.de/

littek-alle-achtung Frank Littek:
Alle Achtung! - Sich erfolgreich schützen und zur Wehr setzen Überfällen, Einbrüchen, Taschendiebstählen, etc.

Mosaik bei Goldmann, 2008
240 Seiten
7,95 Euro

Homepage von Frank Littek:
www.franklittek.de

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Stand: 2. Dezember 2008




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Axel Bußmer
Axel Bußmer, Studium der Politologie, Philosophie und Soziologie in Konstanz, lebt derzeit in Berlin und arbeitet an verschiedenen Drehbuchprojekten (u. a. ein Gangsterthriller). Neben Noir-Krimis liebt er Jazz, über den er auch Artikel schreibt.
Sie finden seine Beiträge im Internet in seiner Kriminalakte
Bei den Alligatorpapieren erscheinen regelmäßig seine TV-Krimi-Buch-Tipps.

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