schmauchspuren




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Schmauchspuren.
No. 20
Die Kolumne von Peter Hiess





Besuchen Sie Las Vegas! Dort können Sie nicht nur Ihr gesamtes Geld los-, sondern auch gleich ermordet werden. Andererseits: Das geht auch in Wien, Niederösterreich oder Nepal - aber gottlob nur literarisch.



freeman-las-vegas-killer.jpgNach seinem ersten Fall in den winterlichen Wäldern Minnesotas ist Polizei-Detective Jonathan Stride übersiedelt - aus Liebe und ausgerechnet nach Las Vegas. Dort, in der dekadenten Wüstenhauptstadt des Glücksspiels, wo sich alles nur um Geld und zerstörte Hoffnungen dreht, wird eines Nachts ein Milliardärssohn während eines Blowjobs erschossen. Weitere Morde passieren, Stride und seine neue Kollegin ermitteln, die Freundin des Detective - ebenfalls Polizistin - forscht in einer anderen Richtung nach, die Untersuchungsstränge kommen zusammen. Bis hierhin ist Brian Freemans "Las-Vegas-Killer" ein ganz guter Krimi, der alte Geheimnisse aus der Mafia-Sinatra-Kennedy-Vergangenheit von Vegas gekonnt aufrührt und so zum Weiterlesen reizt.
Doch was ist da los? Plötzlich stellt sich Strides Partnerin als Transsexuelle(r) heraus, seine Freundin als Exlesbe, jeder zweite Verdächtige oder Zeuge als schwul, lesbisch oder pervers; und das alles wird viel zu lange und ausführlich diskutiert. Hat der Autor mittendrin beschlossen, ein anderes Buch zu schreiben? Will er uns etwas über seine eigenen Vorlieben erzählen oder eine Abhandlung zum Thema Gender-Bender-Politik liefern? Dann ist entweder er im falschen Film - oder wir Leser haben uns verirrt. Und von diesem Irrweg kann auch ein ganz gut gelungenes letztes Drittel den Roman nicht mehr zurückholen.

freeman-las-vegas-killer Brian Freeman:
Las-Vegas-Killer

Übersetzt von Imke Walsh-Araya
Hoffmann und Campe Verlag 2008,
494 S., 17.95 €[D]







wieninger-die-rueckseite-des-mondesDer Österreicher Manfred Wieninger geht in "Die Rückseite des Mondes" nicht fehl, da er in der Reihe Kaliber .64 (erlaubt sind nur 64 Seiten pro Buch) gar keine Zeit dafür hat. Und so erzählt er die Geschichte des Gruppeninspektors Franz Grassmann, der in irgendeinem Kaff am Arsch von Niederösterreich unbemerkt von der Welt in Pension geht, knapp und stringent, mit unvergleichlicher anderle-A-Schene-Leich.jpg Beobachtungsgabe und ordentlichem Zynismus, daß es eine wahre Lesefreude ist. Als nach dem Antritt des Rentenalters plötzlich ein paar ungestrafte Delikte gerecht gerächt werden, gerät natürlich der Expolizist in Verdacht - aber so einfach ist das alles nicht. Herrlich schwarzer Humor.
Den hat übrigens auch Helga Anderle in ihrem "Mordgeschichten"-Band "A schene Leich" drauf, mit besonderer Betonung des Wienerischen natürlich. Hier passieren die Todes- und Kriminalfälle eher, als daß sie eine(r) plant und mit großer Berechnung ausführt, hier stürzen wütende Ehemänner aus dem Fenster, weil der Boden frisch eingelassen ist, hier verdingen sich rüstige Rentnerinnen hobbymäßig an Telefonsex-Hotlines, und hier fallen ganze Generationen von Männern ganz zufällig von der Leiter. Warum? Weil diese Frau ihr Handwerk versteht, darum.

wieninger-die-rueckseite-des-mondes Manfred Wieninger:
Die Rückseite des Mondes

Edition Nautilus/Kaliber .64 2008,
64 S., 4.90 €(D)
anderle-A-Schene-Leich.jpg Helga Anderle:
A schene Leich

Milena Verlag 2008,
175 S., 14.50 €(D)





spillane-dead-streetAuch Mickey Spillane, der Schöpfer harter Pulp-Bestseller-Helden wie Mike Hammer, verstand einst sein Handwerk. Daß er aber mit weit über achtzig noch einen Krimi anfing (den Max Allan Collins für die Reihe Hard Case Crime vervollständigte), war vielleicht nicht die allerbeste Idee. "Dead Street", die Geschichte vom New Yorker Exbullen mit Spitznamen "Shooter", der nach 20 Jahren zufällig seine totgeglaubte Liebste wiederfindet und dann auch noch einen uralten Fall löst, mit dem er nebenbei die USA vor einem Atombomben-Terroranschlag durch die üblichen arabischen Verdächtigen bewahrt, wirkt einerseits kindlich, ist andererseits aber so weit weg vom Schuß, daß sie nicht einmal durch die gezielten Kopfschüsse des Protagonisten zu retten ist. Kein gutes Andenken an Mr. Spillane und daher bestenfalls historisch wertvoll.

spillane-dead-street Mickey Spillane:
Dead Street

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008,
219 S., 6,99 US-$




rollins-Der-Genesis-PlanNicht einmal von zeitgeschichtlichem Wert, aber ein typisches "guilty pleasure" sind die Sigma-Force-Thriller des amerikanischen Vielschreibers James Rollins. Der neue ist gerade erschienen, also fühlte sich der Autor dieser Zeilen bemüßigt, den vorletzten - "Der Genesis-Plan" - zu lesen. Dauert trotz mehr als 500 Seiten eh nur einen sehr unterhaltsamen Tag. Und handelt von amoklaufenden buddhistischen Mönchen in Nepal, einer üblen Verschwörung zur Ausrottung der unwürdigen Menschheit, Nazis wie aus dem Trash-Bilderbuch und unseren lieben US-Science-Heroes, die mit dem jahrzehntelang geplanten Komplott binnen 48 Stunden Schluß machen. Demnächst geht's weiter.

rollins-Der-Genesis-Plan James Rollins:
Der Genesis-Plan

Übersetzt von Norbert Stöbe
Blanvalet Verlag 2007,
540 S., 12,- €(D)




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Beenden wir das mörderische Treiben mit dem hervorragenden Comic-Hardcover "Hell's Kitchen", das im New York bzw. Chicago der Prohibitionszeit spielt. Der 13jährige Anthony aus Little Italy muß mitansehen, wie Mafiosi nach und nach seine Familie ausrotten, seine Angebetete verschleppen und auch vor seinen Freunden nicht Halt machen. Immerhin schafft er es, selbst so große Keile zwischen die Verbrecher-Clans zu treiben, daß der Blutzoll auch auf der Gegenseite hoch ist. Und dennoch kann er dem geradezu monströs Bösen der Gangsterbosse nicht entkommen. Da geht es ihm wie uns in Zeiten der Finanzkrise ...

t-marie-hells-kitchen Karl T. & Damien Marie:
Hell's Kitchen

Übersetzt von Marcel Le Comte
Ehapa Comic Collection 2008,
192 S., 39.95 € (D)/ 41.10 € (Ö)





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Schmauchspuren. Von Peter Hiess
Ein Service der Alligatorpapiere
im
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Alfred Miersch
Klingelholl 53
42281 Wuppertal
Tel.:0202/51 10 89

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Dezember 2008




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hiess-peter.gif Peter Hiess
Geb. 1959 in Wien, wohnhaft dortselbst. Seit frühesten Jahren vom Schreibvirus angesteckt, seit 1982 als freiberuflicher Journalist, Autor und Übersetzer (aus dem Engl./Amerikanischen) tätig. Ist beinahe jeder Art von Popkultur (und dazu zählt eindeutig NICHT Fußball) verfallen und gründete daher 1996 mit Klaus Hübner die Netzzeitschrift EVOLVER; dort jahrelang Chefredakteur, nunmehr Textchef und Herausgeber.
Zu seinen Buchpubiikationen gehören nicht nur Wienerwald-Wanderführer, sondern auch True-Crime-Werke (u. a. "Mordschwestern", "Die zarte Hand des Todes" - alle mit Christian Lunzer) sowie der Ostbahn-Krimi (in dem Kurt Ostbahn auf Dienstreise ist und daher der Trainer und Dr. Trash ermitteln müssen) "Peepshow" (mit Günter Brödl).
Seine Krimikolumne "Schmauchspuren" erscheint in der österreichischen Zeitschrift "Buchkultur".